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THEMA: Wie ein Fantasy-Epos entsteht - von Miguel de Torres Teil 8 Expose II

Wie ein Fantasy-Epos entsteht - von Miguel de Torres Teil 8 Expose II 22 Mai 2016 07:00 #4474

  • Sheila
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8. Das Exposé (Teil 2): Der Handlungsrahmen

Im zweiten Blogeintrag, als es um die »Romanwelt« ging, habe ich die Geographie des Geländes, in dem sich die Handlung abspielen wird, grob umrissen: ein karges, teils wüstenähnliches Land, durchzogen von einigen wenigen Flüssen und begrenzt von Bergen, die im Wesentlichen aus Kalkstein bestehen. Kalkstein begünstigt die Bildung von Höhlen, und ich will, dass Höhlen eine gewisse Rolle spielen. Landschaftsdetails werden später festgelegt, teils im Exposé (soweit sie für die Handlung wichtig sind), teils erst bei der Niederschrift.

Über den gesellschaftlichen und politischen Rahmen hatte ich damals nur spärliche Angaben gemacht: »Die Gesellschaft ist eine weitgehend ländliche – Bauern und Viehzüchter –, und es gibt nur wenige Städte, darunter natürlich so etwas wie eine Hauptstadt. Allerdings ist die Gesellschaft zu Beginn des Romans im Umbruch begriffen, denn es herrscht Krieg.« Das gilt es nun zu präzisieren.

Warum herrscht Krieg? Weil sich zwei Nachbarn nicht einigen können, wem rohstoffreiche Landstriche gehören? Das ist natürlich eine Möglichkeit. Oder ist es ein »Glaubenskrieg«? Eher nicht. In der gesamten Menschheitsgeschichte hat es keinen wirklichen Glaubenskrieg gegeben; es ging stets um handfeste finanzielle bzw. Machtinteressen, wobei Glaube oder »Menschenrechte« oder was auch immer nur Scheingründe waren. (Warum wurde der amerikanische Bürgerkrieg angezettelt? Weil die Menschenfreunde im Norden das Leiden der armen, ausgebeuteten Schwarzen nicht mehr mitansehen konnten? Unsinn! Eine Gesellschaft, die Sklaverei erlaubt, kann viel billiger produzieren als eine Gesellschaft, die auf bezahlte Arbeitskräfte angewiesen ist -> der klassische Handelskrieg; Geld regiert die Welt. Vielleicht zerstört es sie eines Tages auch. Vielleicht sogar früher als erwartet ...)

Werfen wir mal einen Blick in die Geschichte, der lohnt sich immer, auch wenn offensichtlich niemand etwas daraus lernen will. Solange das Römische Reich expandierte, war alles bestens: Die Ausplünderung der eroberten Gebiete finanzierte nicht nur die dazu nötigen Truppen, sondern auch ein Leben in Wohlstand für fast alle römischen Bürger, deren Ansprüche explosionsartig anwuchsen (kostenlose Getreidezuteilungen, »Brot und Spiele« etc.). Die Probleme begannen, als die Expansion zum Stillstand kam. Der Gegendruck an den Grenzen nahm immer mehr zu und die Militärausgaben stiegen weiter an, ohne durch Beute kompensiert zu werden. Um die Grenzen zu schützen, mussten einstmals feindliche Stämme als Wächter rekrutiert werden, die dann natürlich ihr eigenes Süppchen kochten. Dazu kamen Verkehrs- und Verwaltungswege, die nicht mehr in Meilen, sondern in Wochen gemessen wurden. Dass dies auf Dauer nicht funktionieren kann, liegt auf der Hand.

Was in Wirklichkeit Jahrhunderte dauerte, können wir im Roman durchaus straffen, schließlich schreiben wir ja keinen historischen Roman. Wie wäre es damit: Wir haben einen Herrscher (nennen wir ihn mal »König«), hart aber ungerecht. Vor Jahrzehnten hat er den alten König beseitigt und mit seinem Lebenswerk begonnen, nämlich nichts Geringerem als die Eroberung der bekannten Welt. Jetzt, zu Beginn der Romanhandlung, ist diese Eroberung zum Stillstand gekommen; das Reich droht, an seiner schieren Größe zu zerbrechen. Die Wege sind zu weit, die Front ist zu lang, der Gegendruck zu hoch. Ist an einem Grenzabschnitt Ruhe, flackert woanders der Krieg wieder auf. Die Militärausgaben fressen den Staatshaushalt auf, die Steuern werden unerträglich. Es fängt an, im Volk zu brodeln, auch wenn sich aus Angst vor drastischen Repressionen niemand gegen den Herrscher und seine Schergen zu stellen wagt.

Doch der Herrscher will all dies nicht wahrhaben. Er sieht nicht, dass seine Macht bröckelt. Seine jüngste Idee ist es, die lange Grenze seines Reiches durch eine gewaltige Mauer zu sichern. (Erinnert uns das an was? Römer und Chinesen hatten dieselbe Idee, und es hat letztlich nicht funktioniert.) Sträflinge (hauptsächlich politische) werden zur Arbeit an der Mauer verpflichtet, und als diese nicht ausreichen, geht man dazu über, Männer von den Feldern weg zwangszurekrutieren. Die Felder veröden, Hunger breitet sich aus, aber die Grenze hält ... noch ...

Mit diesem Hintergrund kann man schon einiges anfangen, denke ich. Und unser jugendlicher Held, der Tunnelbauergeselle, passt auch hinein: Sagen wir, er befindet sich zu Beginn des Romans an der Südgrenze des Reiches, wo gerade die Mauer gebaut wird. Es ist eine bergige Landschaft, und ein breiter und von Süden her unüberwindlicher Felssporn soll durchtunnelt werden, damit die Verteidiger der Mauer im Ernstfall schnell von einer Seite zur anderen gelangen können. Das Gebiet südlich der Mauer gehörte einst zum Reich, wurde dann jedoch von gegnerischen Kräften – nennen wie sie vorläufig mal »Barbaren« – zurückerobert. Täglich strömen Flüchtlinge aus dem Süden in Richtung Hauptstadt, und sie bringen schlechte Nachrichten: Die Barbaren sammeln sich in immer größeren Heeren. Es kann nicht mehr lange dauern, bis sie die Mauer einfach überrennen. Wobei kleinere Überfälle auf die Baustellen an der Tagesordnung sind.

Die Arbeit am Tunnel geht nur langsam voran, und der im letzten Blogeintrag angesprochene Konflikt zwischen dem alten Tunnelbauer und seinem Lehrling entzündet sich an der Idee unseres Helden, den Tunnel von beiden Seiten aufzufahren.

Aber das reicht noch nicht für einen packenden Anfang. Wenn ich mich seitenweise über den Konflikt der beiden auslasse, fragt sich der Leser bald »Was soll’s?« und legt das Buch weg bzw. er kauft es gar nicht erst. Die erste Seite ist absolut kritisch im Hinblick auf eine Kaufentscheidung, neben Covergestaltung Titel und Klappentext – aber darauf hat der Autor in der Regel keinen großen Einfluss. Umso mehr Sorgfalt muss er in das legen, was er beeinflussen kann, und das ist ausschließlich der Text. Im Zeitalter der Internetbuchhändler und des »Blick ins Buch« trifft das umso mehr zu.

Also verschieben wir den Konflikt auf später, wenn der Leser den Helden besser kennengelernt hat, und überlegen uns für den Anfang etwas Aufregenderes – im nächsten Blogeintrag ...
Liebe Grüße

Sheila
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