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THEMA: John Grisham – Die Erbin

John Grisham – Die Erbin 15 Okt 2017 15:00 #5835

Katastrophal

Dieser Roman ist nur schwer erträglich. Sicher, es gibt flott geschriebene Grishams (die Firma, der Klient, der Regenmacher) und langweiligere (Das Testament, die Kammer), aber „Die Erbin“ schlägt dem Fass den Boden aus. Hier zeigt sich Grisham nur noch als Meister der Klischees und der Versatzstücke. Wenn einem die Ideen ausgehen, kehrt man dorthin zurück, wo alles begann: in der ländlichen Idylle von „die Jury“, ehemalige Protagonisten inklusive.
Soweit (nach zwei Dutzend Romanen) noch tolerierbar. Aber dann. Ständig und überall wird Kaffee getrunken, zum Frühstück gibt es immer Rührei mit Speck, sonst wird fleißig Maisbrei gegessen. Die geschilderten Personen, deren Vielzahl kaum noch zu überblicken ist, sind derart eindimensional, dass man sie eine Seite weiter schon vergessen hat. Bei vielen Namen, die auftauchen, muss man zurückblättern (Willie? Wer was das nochmal?).

Eine der Hauptpersonen des Romans, Lettie, ist schwarz, Haushälterin, Köchin und Krankenschwester. Eine andere Schwarze namens Sallie ist ebenfalls Haushälterin, Köchin und auch Krankenschwester. Man beachte allein die drollige Namensgebung „Lettie“ und „Sallie“. Nomen est Omen. Die Verniedlichungssilbe am Namensende soll dem Leser deutlich machen: der Unterschicht zugehörig; naives, braves Dienstmädchen.

Überhaupt sind Grishams Nebenfiguren größtenteils Trottel, primitiv oder rassistisch. Zu Ihrer Charakterisierung verwendet der Autor ausschließlich Klischees. Über einen missratenen Bruder auf der Flucht heisst es: „Und so war es ihm nach einem unsteten Leben zur Gewohnheit geworden, ständig einen Blick über die Schulter zu werfen.“ (S. 291).
oder
„...er arbeitete in einer Kneipe...in einer heruntergekommenen Gegend der Stadt, wohin Matrosen, Hafenarbeiter und Handlanger kamen. Um sich zu betrinken, beim Würfel zu verlieren und Dampf abzulassen. Zwei grimmig aussehende Rausschmeißer sorgten für Ordnung...“ (S. 290).
und
„Er fuhr jahrelang auf Frachtschiffen und sah die Welt, die ganze Welt. Es gibt keinen Fleck auf der Landkarte, den Ancil nicht kennt. Keinen Berg, keinen Hafen, keine Stadt, keine Sehenswürdigkeit. Keine Bar, keinen Nachtclub, kein Bordell – Ancil war überall (S. 556)

Als die kleine Tochter der Hauptperson zu Weihnachten einen Welpen geschenkt bekommt, geschieht folgendes: „Sie sah ihre Eltern mit Tränen in den weit aufgerissenen Augen an und brachte kein Wort heraus.“ (S. 356).
Das ist Schundroman-Niveau, so klingt Groschenheft-Prosa.

Auch Jugendliche gehören bei Grisham entweder zur Null-Bock-Genration: “Vor den auf volle Lautstärke gedrehten Fernsehgeräten saßen Teenager und starrten auf die Mattscheibe.“ (S. 353) oder aber sie entstammen einer Märchenwelt und werden klischeehaft als Engel verklärt: „Zwei Teenager – intelligente Jugendliche, gut Schüler, Sportler, Kirchenmitglieder, beliebte Jungs aus einer anständigen Familie – waren auf einer eisglatten Straße von einem Betrunkenen um ihr Leben gebracht worden....Die armen Jugendlichen“ (S. 412)

Vor allem bei den Anwaltstypen greift Grisham tief in die Kiste mit den Versatzstücken: da ist der unerfahrene, aber moralisch überlegene Junganwalt mit Finanzproblemen, der gegen den älteren und teuren Staranwalt einer großen Kanzlei kämpft. Die Gegenseite ist natürlich skrupellos und arbeitet im Prozess mit illegalen Methoden (wie schon in „Der Regenmacher“ und „Das Urteil“). Da gibt es den alte Dorfanwalt mit Gesundheits- und Alkoholproblemen, dessen Ruf bereits gänzlich ruiniert ist; den publicitysüchtigen Selbstdarsteller, der im Rolls Royce vorfährt oder der mausgraue 0-8-15-Anwalt mit Dienst nach Vorschrift.
Auch sonst tauchen altbekannte Grisham-Typen auf: die laszive Bedienung im Coffeeshop; die ehrgeizige Praktikantin; ein skurriler Richter, der die „Bösen“ in seinem Gerichtssaal erst zur Schnecke macht und dann hinauswirft (wie schon in „der Klient“).

Wäre nicht alles schon so oft da gewesen, man würde schmunzeln müssen. So aber wirkt Grishams Kombinationsspiel nur beliebig, die Verwendung immer gleicher Versatzstücke austauschbar und ideenarm. Neu in diesem Buch ist nur die ellenlange, nervtötende Ahnenforschung. Einzig, dass ab und an ein witziger Dialog den dicken Schmöker versüsst, hält einen davon ab, das Buch vorzeitig zuzuklappen. Dem Roman hätte es gut getan, um mindestens 200 Seiten gekürzt zu werden.
Peter Waldbauer, Jahrgang 1966, ist Betriebswirt und wohnt als freiberuflicher Dozent und Autor in der Nähe von Heidelberg. Er veröffentlichte bisher Essays und elf Bücher.
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John Grisham – Die Erbin 15 Okt 2017 15:18 #5837

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Was ich nicht verstehe, dass es trotz allem - klingt ja erschreckend, was du schreibst, aber ich kann es mir gut vorstellen - derzeit 110 5-Sterne-Rezis geschrieben wurden. Sind das alles Obrigkeitshörige, die aus Gewohnheit super finden, was bekannte Autoren schreiben? Spricht nicht für unsere Gesellschaft ...

Viele Grüße
Martin
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John Grisham – Die Erbin 15 Okt 2017 16:49 #5838

Naja, wie heisst es immer so schön...Geschmäcker sind verschieden. Aber dein Erklärungsversuch hat etwas für sich.
Peter Waldbauer, Jahrgang 1966, ist Betriebswirt und wohnt als freiberuflicher Dozent und Autor in der Nähe von Heidelberg. Er veröffentlichte bisher Essays und elf Bücher.
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John Grisham – Die Erbin 14 Jan 2018 14:29 #5911

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Wow, das ist mal eine harte Kritik, die mir als Autor zu denken geben würde. Ich habe den Roman nicht gelesen und bekomme irgendwie gerade auch keine Lust darauf ;) Wenn man als Schriftsteller erst einmal einen großen Namen erlangt hat, dann kommt es wohl mehr auf Quantität als auf Qualität an. Zumindest klingt es in diesem Fall so.
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John Grisham – Die Erbin 14 Jan 2018 17:24 #5916

Ja, Michi - absolut. Grisham produziert Romane wie am Fließband. Jedes Jahr genau einen. Er recherchiert jeweils ein paar Wochen und schreibt dann drei Monate lang (nach eigener Aussage). Dann macht er Pause bis er sich dem nächsten Projekt zuwendet. Die Routine und die Gewissheit, dass der Verlag seinen Roman abnimmt, verleitet natürlich dazu, es sich möglichst einfach zu machen und sich selbst zu kopieren. In Hollywood wird er nicht mehr verfilmt, weil er sich immer der gleichen "Masche" bedient (manche sagen, er habe nur diese eine drauf). Wenn Grisham im hohen Alter ist, wird er wahrscheinlich, was die Anzahl seiner Romane angeht, so etwas wie der "amerikanische Karl May" sein.
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John Grisham – Die Erbin 16 Jan 2018 16:20 #5921

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Besonders drastisch zeigt es sich hier:

"in den weit aufgerissenen Augen"

Das Wörtchen "weit" hätte man sich an dieser Stelle sparen können. Es wirkt wie der verzweifelte Versuch, die Szene unnötig zu dramatisieren. "Aufgerissen" sagt bereits alles in diesem Kontext. Fairerweise könnte man dem Autor noch zugute halten, dass das Buch aus dem Englischen übersetzt wurde und man solche Dinge natürlich darauf zurückführen könnte.
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John Grisham – Die Erbin 16 Jan 2018 16:33 #5922

Sehr gut! Ähnlich wie "weit aufgerissene Augen" sind übrigens: fest überzeugt, allererste, letztendlich, schlussendlich, letzten Endes, aus gegebenem Anlass oder dringender Notfall.
Peter Waldbauer, Jahrgang 1966, ist Betriebswirt und wohnt als freiberuflicher Dozent und Autor in der Nähe von Heidelberg. Er veröffentlichte bisher Essays und elf Bücher.
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John Grisham – Die Erbin 27 Mai 2018 22:20 #6280

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Ich habe einige Bücher von Grisham gelesen. Am besten im Gedächtnis sind mir 'Die Kammer' und 'Die Jury'. Diese beiden Romane finde ich nach wie vor genial und würde sie immer wieder lesen.

Was für 'Die Erbin' nicht gilt. Ich kenne nicht alle Romane von Grisham, manche interessieren mich einfach von der Geschichte her nicht, aber dieses klang wirklich vielversprechend. Ich kann hier nur zustimmen, ich wurde bitter enttäuscht. Wo ich bei 'Die Kammer' kaum abwarten konnte, umzublättern, weil es so spannend war, konnte ich es bei 'Die Erbin' nicht erwarten, weil ich dann endlich wieder eine Seite geschafft hatte. Ja, ich habe das Buch fertig gelesen, es ist nicht das Schlechteste, das ich bislang zwischen zwei Buchdeckeln gefunden habe. Aber hätte ich den Eingangspost nicht gelesen und mich hätte jemand gefragt, worum es in dem Buch geht ... ich hätte ganz schön alt ausgesehen. Bis vor zwei Minuten wusste ich nichts mehr über die Handlung oder von den Protagonisten. Von den ganzen Nebenfiguren ganz zu schweigen.

Ich habe für mich entschlossen, keinen Grisham mehr zu kaufen. Irgendwann wiederholt sich vielleicht zwangsläufig alles und funktioniert nach Schema F, wenn man zu lange im selben Genre immer und immer wieder ähnliche Geschichten schreibt.
Noch schlimmer finde ich das übrigens bei Dan Brown. Ich grüble jetzt noch, was genau das letzte Buch gewesen sein soll.
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John Grisham – Die Erbin 28 Mai 2018 02:02 #6281

Super-Kommentar!

"Bis vor zwei Minuten wusste ich nichts mehr über die Handlung oder von den Protagonisten. Von den ganzen Nebenfiguren ganz zu schweigen."

Genau das unterscheidet die guten Autoren von den mittelmäßigen. Sie beschreiben Szenen und erfinden Figuren, die im Gedächtnis bleiben. Ich will nicht behaupten, dass es in jedem Grisham so ist. "Die Firma" bsp. bleibt im Gedächtnis. Aber das liegt vielleicht auch an der glänzenden Verfilmung von Sidney Pollack (Jenseits von Afrika) und natürlich an Hauptdarsteller Tom Cruise. Wenn man Buch und (bald danach) Film konsumiert hat, verschwimmen vielleicht die Bilder und man kann gar nicht mehr genau zuordnen, welche der Text entstehen ließ und welche der Film.

"Die Kammer" fand ich wieder einer der schwächeren Grishams, es geht bei ihm ja fast abwechselnd, ein Roman gut, dann schwach, dann wieder gut, usw.

"Ich habe für mich entschlossen, keinen Grisham mehr zu kaufen."
Ja, das Gefühl kenne ich. Grisham bringt ja jedes Jahr einen Roman heraus und wenn man die letztjährige Enttäuschung verdaut hat, denkt man - nach Lesen des Klappentextes - doch wieder: "Hm, könnte was sein, eine Chance gebe ich ihm noch. Und das wiederholt sich dann von Jahr zu Jahr.
Zumindest sollte man das Buch zunächst ausleihen und anlesen. Kaufen kann man es bei Gefallen dann immer noch, z.B. später als TB zum wiederholten Lesen.

"Irgendwann wiederholt sich vielleicht zwangsläufig alles und funktioniert nach Schema F,"
Zumindest bei dem Output, den Grisham hat, denn jährlicher Turnus ist in der Verlagsbranche schon fast das Maximum. Aber er hat`s natürlich auch nicht mehr nötig.
In Hollywood wird er auch nicht mehr verfilmt, weil er "nur eine Masche drauf hat".
Grisham wird, wenn er in dem Maße weiter produziert, so etwas wie der "amerikanische Karl May".
Galten früher der Wilde Westen oder der Orient als exotisch, so ist es heute die "Welt der Justiz und Gerichte", die Grisham seinen Lesern auf populäre Weise näher bringt.

"Noch schlimmer finde ich das übrigens bei Dan Brown. Ich grüble jetzt noch, was genau das letzte Buch gewesen sein soll."
Absolute Zustimmung. Mir ging es schon bei "The Salomon Key" so. Von diesem Buch ist mir keinerlei Setting/Handlung in Erinnerung geblieben.
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John Grisham – Die Erbin 28 Mai 2018 08:39 #6282

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Genau das unterscheidet die guten Autoren von den mittelmäßigen. Sie beschreiben Szenen und erfinden Figuren, die im Gedächtnis bleiben.

Das kann ich nur unterschreiben. Die Figuren sind diejenigen, die uns an die Hand nehmen und durch die Handlung führen (sollten). Im besten Fall werden sie zu 'Freunden', die man ungern verlieren möchte. Wenn sie uns nicht einmal im Gedächtnis bleiben, ist etwas schiefgelaufen.

In Hollywood wird er auch nicht mehr verfilmt, weil er "nur eine Masche drauf hat".
Grisham wird, wenn er in dem Maße weiter produziert, so etwas wie der "amerikanische Karl May".
Galten früher der Wilde Westen oder der Orient als exotisch, so ist es heute die "Welt der Justiz und Gerichte", die Grisham seinen Lesern auf populäre Weise näher bringt.


Ach, ich glaub, das ist er schon. Wie viele Bücher hat er jetzt schon geschrieben? Und im Grunde ist es immer dasselbe mit immer (gefühlt) selben Charakteren.

Absolute Zustimmung. Mir ging es schon bei "The Salomon Key" so. Von diesem Buch ist mir keinerlei Setting/Handlung in Erinnerung geblieben.

Mir sagt nicht einmal der Titel irgendwas. :kopfkratz:
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John Grisham – Die Erbin 28 Mai 2018 15:25 #6285

Oh, kleiner Schnitzer. Das Buch erschien letztlich als "Das verlorene Symbol".
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John Grisham – Die Erbin 28 Mai 2018 16:00 #6286

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Hm, ich weiß, dass ich alle Bücher von Brown gelesen habe, also muss 'Das verlorene Symbol' dabei gewesen sein. Aber an den Inhalt kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. War das das Buch, wo Langdon in einem dunklen, kahlen Raum eingesperrt war? In einer Klinik, Forschungseinrichtung oder sowas? Das ist so der einzige Erinnerungsfetzen, der sich gerade meldet.
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John Grisham – Die Erbin 28 Mai 2018 17:18 #6292

:rotfl:
so etwas in der Art, glaube ich; es ist dasjenige, das in Washington spielt
da sieht man mal, was für ein Fastfood das mittlerweile geworden ist
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