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THEMA: Es ist dieses Gefühl …

Es ist dieses Gefühl … 16 Mär 2014 16:20 #216

  • tatwort
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Seit ich diese Rubrik Autorenleben gefunden habe, denke ich darüber nach, was ein Autorenleben eigentlich alles ausmacht. Ich beschränke mich hierbei explizit auf die große Masse der Autoren, also die, die niemals in Verlegenheit kommen könnten, aufgrund ihres wahnsinnigen Bucherfolges Steuern zu hinterziehen.

Irgendwie ist das Schreiben natürlich so, wie das Kaufen eines Lottoloses. Gerne möchte man einmal den Spiegel kaufen und sich oben auf der Bestsellerliste wiederfinden. Aber das ist nur ein nice to have. Wer aus diesem Grund schreibt, … ich tue es nicht.

Ich schreibe für mich, nur für mich. Nein, nicht für die Leser, nur für mich. Schön, wenn mein Buch auch jemand liest und erst recht, sollte es dem Leser sogar gefallen. Aber ehrlich, so viele Stunden, Jahr um Jahr am alleine am PC zu hocken … für andere? Nee, das ist mein Leben, das da ständig vom Monitorlicht beleuchtet wird. Es ist mein Leben, das sich nicht am Strand, nicht in der Kneipe, nicht im Verein, ... abspielt.

Warum aber tut man sich das an, wenn man normalerweise nicht einmal annähernd reich damit wird? Ein „normales“ Buch verkauft sich 3 - 4.000 Mal, wird dann nie wieder aufgelegt und verschwindet in der Rubrik „Es war einmal …“.

Ich weiß nicht, warum ihr anderen Autoren so etwas auf euch nehmt, ich weiß aber weshalb ich es tue. Es ist dieses Gefühl … dieses verdammte namenlose Gefühl, das mich beim Füllen eines leeren Blattes überkommt. Dieses grelle Monsterblatt, das mich vorher so elendig leer angeschrien hat, sich geweigert hat, sich beschreiben zu lassen. Und dann ist es geschafft. Wieder eine Seite, wow ... Wie nennt man das Gefühl? Habt ihr einen Namen dafür? Immer intensiver nimmt mich dieses Gefühl in Beschlag. Manchmal verschwindet es, dann gewinnt dieses grelle, leere Monsterblatt wieder die Oberhand. Dann lehne ich mich zurück, denke nach, gehe dem Blatt aus dem Weg, bis, ja bis ich die richtigen Buchstaben finde und das Blatt sich wieder mit schwarzen Buchstaben füllt.

Irgendwann nimmt dieses Gefühl Gestalt an, wird zu der Geschichte, dessen ENDE man so herbei gesehnt hat. Aus einer leeren Seite, aus dem Nichts heraus habe ich so etwas Tolles wie eine Geschichte erschaffen, meine Geschichte. Es ist dieses Gefühl, das mich schreiben lässt. Niemand bezahlt mich dafür. Als Belohnung bekomme ich nur dieses Gefühl. Ich bin süchtig danach. Wie nennt man dieses Gefühl?
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Es ist dieses Gefühl … 16 Mär 2014 16:35 #219

  • Martin
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Hi tatwort,

kann das was mit Schaffensfähigkeit zu tun haben? Die Macht etwas erschaffen zu können? Ihm Leben einzuhauchen, das so stark ist, dass die Figuren sogar selbst zu leben und handeln beginnen? Sich verweigern, einen vor den Kopf stoßen, leiden, sich freuen ...?

Für mich ist die Geschichte ›Die ungeheuerliche Einsamkeit des Maxwell Sim von Jonathan Coe‹ (siehe hier im Buchwurm) ein sehr spannendes Beispiel: Der Protagonist, lebendig wie nur was, erfährt am Ende, als er einen Mann trifft, der ihm eigenartig vertraut vorkommt, dass er nicht real ist, sondern lediglich der Protagonist einer Geschichte und mit dem Ende des Buchs aufhört zu leben, anstatt, wie er annimmt, mit dem Flieger in die Staaten zu fliegen. Ein sehr beeindruckendes Ende übrigens!

Ja, ich glaube, das Gefühl hat was mit Macht zu tun, allerdings nicht im negativen Sinne.

Viele Grüße
Martin
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Es ist dieses Gefühl … 19 Mär 2014 21:34 #280

  • Samanter
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Tatwort!

Dieses Gefühl hatten wir sicher alle schon einmal als wir im Sandkasten Burgen bauten oder in der Puppenstube die Püppchen unser Fantasieleben leben ließen. Es ist, denke ich, sowohl das Gefühl von Macht über die Geschehnisse als auch die Freude am Schaffen und Wachsen-sehen. Wie könnte man dieses Gefühl nennen? Keine Ahnung. Für mich spielt bei diesen beiden Gefühlen aber noch ein Drittes eine sehr wichtige Rolle. Du schriebst es ist dein Leben das nicht am Strand oder im Verein abspielt. Ja natürlich. Du schaffst dir eine Welt die genau so ist wie du sie haben willst, in der jeder das tut was du willst und der sogar das Wetter sich nach dir richtet. Das findest du in keinem Verein, in keiner Kneipe oder sonst wo, nicht einmal im Kino. Und dass du in diese Welt immer und immer wieder eintauchen, sie immer und immer wieder verändern, und jederzeit lesen und widererleben kannst, macht es so besonders. Wer möchte nicht aus eigener Kraft und nur nach seinen Regeln eine ganze Welt erschaffen und dann auch noch damit spielen können wann er will? Und damit nicht genug, wir können mit unseren Fantasien sogar andere auch noch glücklich machen, uns mitteilen, aufrütteln oder trösten. Eine perfektere Art seinen Spieltrieb auszuleben gibt es m. E. nicht. Und dabei spielt das Geldverdienen eigentlich nur eine untergeordnete Rolle, denn du kannst nur gewinnen, auch wenn sich dein Buch gar nicht verkauft.

LG Sam
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Es ist dieses Gefühl … 19 Mär 2014 21:52 #281

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Samanter schrieb:
Eine perfektere Art seinen Spieltrieb auszuleben gibt es m. E. nicht.
Doch: Programmieren ;-)
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Es ist dieses Gefühl … 20 Mär 2014 11:11 #283

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Tatwort,

ein Thema, das mich schon seit Jahren beschäftigt!

Liebe Grüße
Linda
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Es ist dieses Gefühl … 20 Mär 2014 13:59 #285

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Programmieren ...?
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Es ist dieses Gefühl … 20 Mär 2014 18:42 #288

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Programmieren???? Spieltriebbefriedigung ja, das kann ich mir noch vorstellen. Ist doch schön, wenn etwas genau das tut was du willst, wenn es das dann tut. Jetzt musst du mir nur noch genauer erklären wie du da Traumwelten schaffst? Oder habe ich nur die miteinander agierenden Figuren übersehen? Dann kann Patchwork ja viel viel mehr als ich zu träumen gewagt hätte. ;)

LG Sam
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Es ist dieses Gefühl … 20 Mär 2014 19:11 #289

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Ich habe selbst lange Jahre programmiert. Es hat schon etwas Vergleichbares, wenn man den Schaffensprozess und das hoffentlich erfolgreiche Anwenden der Software erlebt. Leider gibt es nicht nur so etwas wie Patchwork, mir der viele Leute arbeiten (ich weiß, bestimmt noch nicht genug) sondern auch schnöde Hintergrundsoftware, die läuft, fertig und vergessen ist oder wenn sie nicht läuft, einem um die Ohren fliegt.

Was allerdings die Autorentätigkeit im Gegensatz zur Programmiertätigkeit mit sich bringt, ist die extrem tiefe Verbundenheit mit den Figuren, die man durchaus als neue Freundschaft bezeichnen kann. Leider verblasst auch diese Beziehung mit jedem neuen Projekt, aber dafür findet man dabei ja wieder neue Freunde.
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Es ist dieses Gefühl … 20 Mär 2014 20:07 #291

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Samanter schrieb:
Programmieren???? Spieltriebbefriedigung ja, das kann ich mir noch vorstellen. Ist doch schön, wenn etwas genau das tut was du willst, wenn es das dann tut. Jetzt musst du mir nur noch genauer erklären wie du da Traumwelten schaffst? Oder habe ich nur die miteinander agierenden Figuren übersehen? Dann kann Patchwork ja viel viel mehr als ich zu träumen gewagt hätte. ;)
Es war ja nur die Frage nach dem Spieltrieb und da stehe ich nach wie vor dazu - jaahhh, geile Sache, wenn es so tut, wie man will :-) Der Antagonist ist dann das Programm, das mitunter bockig ist. Oder gar die Benutzer, die es ärgern und Sachen eintippen, gegen die es nicht geimpft ist. Dann wird es krank - uhhh ...

tatwort schrieb:
... sondern auch schnöde Hintergrundsoftware, die läuft, fertig und vergessen ist oder wenn sie nicht läuft, einem um die Ohren fliegt.
Das klingt so nach Gerätetreibern ...?
Was allerdings die Autorentätigkeit im Gegensatz zur Programmiertätigkeit mit sich bringt, ist die extrem tiefe Verbundenheit mit den Figuren, die man durchaus als neue Freundschaft bezeichnen kann. Leider verblasst auch diese Beziehung mit jedem neuen Projekt, aber dafür findet man dabei ja wieder neue Freunde.
Ja, das ist wahr! Manchmal denke ich mir dann, dass es spannend wäre, zu wissen, was zum Beispiel Hektor oder Louise jetzt machen - seufz.
Deshalb habe ich überlegt, noch mehrere Bücher zu schreiben, zu denen das Lachsspringen eine Art zentraler Angelpunkt ist. Und dann im Leben der anderen herumzuschüffeln. Journalistenstalker! Was?! Okay, dann eben nicht ...

Liebe Grüße
Martin
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Es ist dieses Gefühl … 21 Mär 2014 09:37 #292

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Tatwort und Martin!

Ihr habt beide Recht. Auch Programmieren ist eine befriedende Sache, wenn man Spaß daran hat. Ich kenne das Gefühl auch, wenn auch nicht auf der Ebene wie ihr. In meiner berufsaktiven Phase habe ich im Excel und im Acces geschrieben. (Kann man das überhaupt Programm nennen?) Dazu kam sogar ein Präsentation im PowerPoint zum Erlernen von Word und Excel. Wie bei allem was mir Spaß macht, betrieb ich dieses Hobby sehr exessiv und war auch recht erfolgreich dabei. Eines dieser Programme/Dateien wird heute noch von ehemaligen Kollegen meines Mannes verwendet.

Beim Programmieren/Dateien schreiben gibt es kein direktes "menschliches" Feedback, wenn man mal von den Reaktionen der Anwender absieht. Ein Programm ist eben in der Beziehung ein recht lebloser Freund.

Was das Freundschaften mit meinen eigenen Protas angeht, geht es mir genauso euch. Meine Protas sind für mich wie eine Familie geworden in deren Umfeld ich, neben meinem echten Leben, auch zuhause bin. Der Moment an dem ich von dieser Familie Abschied nehmen muss, ängstigt mich heute schon. Aber ich weiß ja, ich kann die Verbindung solange halten wie ich will. Notfalls solange bis ich mir eine neue geschaffen habe.

LG Sam
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